Der Verweis auf feststehende biologische Tatsachen ist eine der ältesten Strategien, mit der traditionelle Geschlechterrollen und Hierarchien legitimiert und gestärkt werden. Menschliches Verhalten beruht aber nicht nur auf biologischen Faktoren wie Genen, Gehirnstruktur oder Hormonen.
Richtig ist: Der Verweis auf feststehende biologische Tatsachen ist eine der ältesten Strategien, mit der traditionelle Geschlechterrollen und Hierarchien legitimiert und gestärkt werden. Menschliches Verhalten beruht aber nicht nur auf biologischen Faktoren wie Genen, Gehirnstruktur oder Hormonen. Auch Sozialisation, Erziehung, Kultur und vieles mehr sind entscheidend. Zudem gibt es mehr als nur Männer und Frauen (s.a. S.24), und neben Differenzen zeigen sich zwischen den Geschlechtern auch viele Ähnlichkeiten. Wie Menschen „ticken“, war zu verschiedenen historischen Zeiten extrem unterschiedlich und verändert sich auch jetzt laufend.
Hintergrund: Für Anti-Gender-Akteur*innen ist die Betonung biologischer Unterschiede zwischen Frauen und Männern und die klare Abgrenzung gegen Inter- oder Transgeschlechtlichkeit zentral. Sie zementieren dadurch ihre Norm-Vorstellungen als unveränderbare „Naturgesetze“. Die Betonung biologischer Unterschiede wurde erst im 19. Jahrhundert wichtig; unter anderem deshalb, weil damit soziale Hierarchien nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen weißen und nicht-weißen Menschen oder zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen begründet werden konnten.
Bis heute stellen Medien naturwissenschaftliche Studien oft extrem verkürzt dar und legen ihr gesamtes Augenmerk auf den Faktor „Unterschied“. Aber auch naturwissenschaftliche Methoden selbst sind oft einseitig. Zum Beispiel, weil viele Fragestellungen bereits Vorannahmen über Geschlechterunterschiede enthalten und keineswegs neutral sind. Häufig wird also genau das gefunden, wonach gesucht wurde. Widersprechende Ergebnisse werden ignoriert.
Allerdings ist man sich auch in den Naturwissenschaften zunehmend einig, dass Natur nichts einfach festlegt, sondern es sich um ein Wechselspiel zwischen biologischen Faktoren und Umwelteinflüssen handelt: Wie sich beispielsweise Testosteron auswirkt, hängt davon ab, wie ein Mensch lebt, in welcher Zeit, Kultur, Familie, sozialem Milieu/Schicht und mit welchen Gewohnheiten. Jüngst konnte auch gezeigt werden, dass nicht nur biologische Faktoren auf das Verhalten wirken, sondern dass sich Verhalten auch auf Biologie auswirkt. So sinkt bei Männern, die sich um Kinder kümmern, das Testosteron. Und bei Frauen, die man eine Woche lang dazu anhielt, sich extrem dominant zu verhalten, stieg das Testosteron.[25]